WiW: Leitartikel von Jürgen Rainer: Autonomie und Schule

Ein grundsätzliches Bekenntnis zur Autonomie impliziert auch eine grundsätzliche Abkehr von zentralistischen Strukturen sowie eine Hinwendung zur Vielfalt und damit zu entsprechenden Wahlmöglichkeiten. Dies ist eine große Herausforderung für ein zentralistisch aufgebautes System wie die österreichische Schullandschaft. Allen voran das Ministerium, das z.B. mittels Zentralmatura eine Gleichschaltung der Schularten der Sekundarstufe II bewirkt. Auch die Bundesbeschaffungsbehörde (BBG) greift dirigistisch in die Entscheidungskompetenz der Schulen ein, der es dadurch untersagt wird, Anschaffungen bei Anbietern vor Ort zu tätigen.

Wozu benötigen unsere Schulen eigentlich mehr Autonomie? Was sollte Autonomie bezwecken? Entsprechend meinen Vorstellungen sollte sich Autonomie mehr in der Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden verwirklichen und damit verstärkt pädagogische Erfolge ermöglichen. Autonomie darf nicht als Wert per se gesehen werden, sondern als ein bloßes Mittel zu einer vernünftigen und nützlichen Selbstorganisation des Lern- und Erziehungsbiotops Schule. Dafür wäre eine möglichst weitgehende autonome Ressourcenverwendung an den Schulstandorten notwendig. Um allerdings Ressourcen autonom und effizient verwenden zu können, ist eine ausreichende, transparente und nach den Zielerfordernissen ausgerichtete Zuweisung dieser Ressourcen sicherzustellen, da es sonst zu einer lediglich autonomen Mangelverwaltung kommt. Das derzeitige intransparente Zuteilungssystem ist zudem autonomiefeindlich. Es ist dies ein System, welches nicht nur zentralistisch und schematisch die Finanzmittel zuteilt, sondern auch deren Verwendung starr und schematisch vorschreibt, sowie zweckmäßiges und wirtschaftliches Handeln nicht belohnt, ja eher sogar bestraft.

Die Finanzierung der Schule hat doch in erster Linie die Aufgabe, die Vorgaben der Lehrpläne zu verwirklichen und sollte daher nicht auf eine Schülerkopfquote sondern auf die pädagogisch erforderlichen Klassen- und Schülergruppengrößen abstellen. Bereits geschaffene Autonomieräume zu Schwerpunktbildungen, die den regionalen Erfordernissen Rechnung tragen, hatten sich im BMHS-Bereich sehr bewährt. Sie wurden jedoch zum Teil wieder zurückgenommen, um zu große Lehrplanunterschiede, die sich durch die gewünschten Schwerpunktbildungen ergaben, zu verhindern. Das Reformpaket sieht erneut die autonome Gestaltungsmöglichkeit (ca. 20 % der Stunden) just mit jener Begründung vor, weshalb die Zügel der schulautonomen Lehrplangestaltung kürzlich gestrafft wurden, nämlich wegen der zentralen Reifeprüfung.
Darüber hinaus müssen zusätzliche disponible Ressourcen vorhanden sein, um individuelle Förderungen zu ermöglich und regionalen Unterschiedlichkeiten Rechnung tragen zu können. Die Fortschreibung des strukturellen Defizits beim Bildungsbudget (für 2016 deutlich mehr als 300 Millionen Euro) lässt jedoch eher autonome Mangelverwaltung vermuten. Dieser Eindruck verstärkte sich in mir durch die Budgetrede des Herrn Finanzministers, der erwähnte, dass er sich durch die Bildungsreform die Beseitigung des budgetären Defizits erhoffe.

Mehr Autonomie an den Schulen verlangt aber auch mehr Demokratie in den Schulen und mehr Freiräume für die Schulgemeinschaft. Denn Schule passiert vor Ort, d.h. Schule passt sich den lokalen Gegebenheiten an. Orientiert sich am Leistungsvermögen der Schüler, fordert und fördert wo und wann es zielführend erscheint und verfügt auch dafür über ein ausreichendes Budget. Eine autonome Schule benötigt keinen LSR und keine Schulaufsicht, denn sie sichert die Qualität ihrer Ausbildung vor Ort. Ich bin auch davon überzeugt, dass jede Schulgemeinschaft in der Lage ist, ihre Schulleitung selbst zu bestimmen. Keine Assessments, keine Potentialanalysen mehr, keine Reihungsvorschläge durch Kollegien, Gutachten von Schulaufsichtsorganen, Ernennungsvorschläge des Ministeriums, Entscheidungen der Ressortleitung und Unterschriften des Bundespräsidenten. Und sollte man sich vor Ort einmal geirrt haben, lässt sich die Fehlentscheidung rasch wieder korrigieren.

Autonomie hat auch die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer mit einzuschließen. Neben dem Ausbau der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten sollte auch eine Stärkung der autonomen Persönlichkeit jeder einzelnen und eigenverantwortlichen Lehrperson erfolgen, damit sie möglichst frei von dirigistischen und regulierenden Vorschriften und ohne permanentem Mangel an Zeitressourcen den pädagogischen Kernaufgaben des Bildens und Erziehens nachgehen kann. Das wäre eine Autonomiereform, die – wie ich meine – den Namen wirklich verdient.

„Wenn ich mir anschaue, wie viele Kinder und Jugendliche es schaffen, eine Schulbildung oder Lehre oder sonst was abzuschließen, gehört Österreich zu den Top 5 in Europa. Wir sind in vielerlei Hinsicht, vor allem auch wegen dieses herrlich differenzierten und chaotischen berufsbildenden Bereichs, recht gut aufgestellt. Darum beneiden uns die anderen sogar. Ich sage nur immer ironisch: Österreich funktioniert trotzdem, nicht deswegen.“ Bildungsforscher Stefan Hopmann im Interview der Kleine Zeitung 11/2015

„Durch das zentralisierte und einheitliche System – Zentralmatura etc. – bieten wir Kindern, die anders sind, etwas anderes können und wollen, keinen anständigen Ort. Gerade in einem kleinen Land wie Österreich leben wir aber von der Buntheit. Im Schulwesen haben wir zurzeit jedoch die wahnsinnige Tendenz, die Unterschiedlichkeit der Leute als Nachteil und nicht als Leistung zu empfinden.“ Bildungsforscher Stefan Hopmann im Interview der Kleine Zeitung 11/2015

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