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Claire Bretécher: Allergien

Cover von Claire Bretéchers Album "Agrippina – Allergien"
Cover von Claire Bretéchers Album "Agrippina – Allergien"

Auf die Schule bezogen:
Mich beeindruckt Bretécher selbst (Interviews auf youtube) auch noch als 78-Jährige mit ihrem analysierenden Blick auf Emotionen bei gleichzeitiger Distanz. Ihre Kunst, immer ins Schwarze zu treffen, am Puls der Zeit zu leben sowie nicht alten Geschichten nachzuhängen, machen sie als starke, eigenwillige und erfolgreiche Künstlerin zu einem Role-Model – gerade für Maturant*innen, die zögern, ihre Talente zu leben!

Rezension von Ilse Seifried

Claire Bretécher: Allergien
Aus dem Französischen von Kai Wilksen
Handlettering von Dirk Rehm
ISBN 978-3-941099-03-6
Klappenbroschur, 52 Seiten, farbig, 23,5 x 31 cm, € 15,00
Reprodukt 2009

Die ersten Cartoons von Bretécher auf Deutsch erschienen 1978 im Rowohlt Verlag. Die Frustrierten waren ein Riesenerfolg und entwickelten sich zu einer 5-teiligen Serie. Agrippina - Allergien (Original 2004) erschien 2009 für den deutschen Sprachraum – dankenswerter Weise vom Verlag Reprodukt herausgebracht. 2015 folgte Agrippina: Fix und fertig (Original 2009). Die Geschichten von Bretécher sind ein Zeitgeistdokument. Darum scheue ich nicht davor zurück, 2018 den Band von 2009 zu präsentieren! Entweder wird Allergien nun neu entdeckt oder wiedergelesen oder neugierig gemacht auf Agrippina: Fix und fertig.

In 42 Geschichten – beginnend mit „Gütertrennung“ über „Food culture“ und „Sozialer Konflikt“ bis schlussendlich „Gutbürgerliche Küche“ - zeigt und spiegelt Claire Bretécher was uns umgibt, wie wir selbst sind oder lieber nicht sein wollen.
Sie ist eine Meisterin ihres Fachs. 1940 in Nantes geborene, thematisiert sie humorvoll, vielschichtig und so direkt, dass es fast böse wirkt, gegenwärtige Trends und Gegebenheiten. Einfach und pointiert zeigt sie Frau-Sein / Mann-Sein und den Kampf der Geschlechter wie auch das Verbindende.
„Erfrischend hässlich waren sie auch. Schlabberpulli, Augenringe, Hüftspeck, … Und nie stimmte das, was sie wollten und glaubten, mit dem überein, was sie tatsächlich lebten. Daraus ergaben sich der Humor, die Pointen, die Melancholie auch, die bei jedem überragenden Komiker mitschwingen.“ (aus: https://www.tagesspiegel.de/kultur/comics/internationaler-comic-salon-erlangen-die-max-und-moritz-preistraeger-2016/13654330.html)

 

Das Internationale Comicfestival Angoulême zeichnete sie mehrfach mit Preisen aus. 1982 erhielt sie den “Grand Prix de la Ville d’Angoulême” für ihr Lebenswerk.
2016 wurde Claire Bretécher beim Internationalen Comic-Salon Erlangen mit dem Max-und-Moritz-Preis für ihr Lebenswerk geehrt.
Zusammenfassung der Preisverleihungsrede (https://www.degruyter.com/downloadpdf/books/9783839401644/9783839401644-042/9783839401644-042.pdf): Bretécher versteht sich nicht als Soziologin und doch haben ihre gezeichneten Geschichten aus ihrem sozialen Umfeld die Qualität einer Studie. Die Geschichten handeln mehr oder weniger von ihr selbst, meinte sie. Hinterher stellt sich für sie heraus, dass wirklich viele Menschen ihre Ansichten teilen. Sie war eine Frau, die sich in einer Männerwelt behauptete. Ab den „Frustrierten“ hatte sie ihre Handschrift gefunden. Der feministische Blick bestimmt ihre gezeichneten Lebenswelten, auch wenn sie nie aktiv in der Frauenbewegung war und dieser ambivalent auch heute gegenübersteht.
Bretécher koloriert ihre Zeichnungen nicht einfach, sondern nutzt die Farbe auch als Ausdrucksmittel: Je nach Stimmung nimmt Agrippine verschiedene Farben an. Manchmal wird die Hauptpersonen einer Episode von Kopf bis Fuß in Rot dargestellt und wird damit optisch hervorgehoben. Bretécher zeichnet bevorzugt Frauen, weil diese »veränderbar« seien und weil sie meint, »Männer nicht rüberbringen« zu können. Die Wirkung von Bretéchers Comics beruht nicht nur auf dem Zeichenstil, sondern auch auf dem Wortwitz der Dialoge.
Mich beeindruckt Bretécher selbst (Interviews auf youtube) auch noch als 78-Jährige mit ihrem analysierenden Blick auf Emotionen bei gleichzeitiger Distanz. Ihre Kunst, immer ins Schwarze zu treffen, am Puls der Zeit zu leben sowie nicht alten Geschichten nachzuhängen, machen sie als starke, eigenwillige und erfolgreiche Künstlerin zu einem Role-Model – gerade für Maturant*innen, die zögern, ihre Talente zu leben!

Ilse Seifried
https://www.i-m-seifried.at

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