Verschüttete Milch - Seifried rezensiert Barbara Frischmuth

Cover Bild: Aufbau-Verlag
Cover Bild: Aufbau-Verlag

Mit diesem Roman liegt gleichsam ein kunstvoll besticktes Geschichtentuch als auch ein Zeitdokument vor uns, in dem sich viele Muster und Details finden, die real oder nicht, ein großes buntes Ganzes bilden. Der Krieg und seine Toten sind mitverwoben.

 

Barbara Frischmuth: Verschüttete Milch

Gebunden mit Schutzumschlag

286 Seiten

Aufbau Verlag 2019

ISBN 978-3-351-03710-9

€ 22,00 €

 

Der Roman ist in drei Teile strukturiert. Mit Die Kleine steigt die Autorin in den Roman ein, der Autobiografisches enthält. Das Dorf, das Salz, der Tourismus und der Klimawandel führen über das Wetter zum See, zum Sonnenbrand und darüber zurück in die Kindheit. Fotos bezeugen, erzählen und lassen erinnern. Die Kindheit. Momentaufnahmen. Erinnerungsstücke, die Lücken zeigen und sich auch ergänzen lassen. Ein Erinnerungsfluss, der im natürlichen Rhythmus und gleichzeitig souverän mäandert. Manches bleibt unsichtbar und unbemerkt, manches wird vermutet, manches tritt in voller Klarheit vor das Auge und schwingt mit Gefühl.

 

Erinnerungskiesel im Wasser der Vergangenheit. Der zweite Teil heißt Juli, setzt mit dem Schulbeginn ein und berichtet von dem, was wesentlich war und prägte, auch ab und an die Perspektive der Erwachsenen einfließen lassend. Schmerzhafte und freudvolle Erfahrungen. Zeit und Erinnerung sind nicht linear.

 

Juliane bildet den dritten und letzten Teil und beginnt mit den ersten Internatsferien zu Hause. Sie ist eine genaue Beobachterin mit ausgeprägtem Sprachgefühl und Sprachbewusstsein. Viele Erfahrungen. Sexualität bleibt nicht ausgespart. Die strengen Klosterschwestern. Ambivalent ist manches. Was wurde vergessen, verdrängt? Am Ende des Buches, als 14-Jährige, trifft sie mutig eine wichtige Entscheidung.

 

Mit diesem Roman liegt gleichsam ein kunstvoll besticktes Geschichtentuch als auch ein Zeitdokument vor uns, in dem sich viele Muster und Details finden, die real oder nicht, ein großes buntes Ganzes bilden. Der Krieg und seine Toten sind mitverwoben.

 

Wer auch immer die potentiellen Leser*innen sind - die einen mögen sich durch dieses Buch an ihre eigene Kindheit und Jugend zurückerinnern mit Parallelen und andere in eine Zeit eintauchen und entdecken, die vor der ihren liegt.

 

Barbara Frischmuth gelingt es meisterhaft, Alltag und hochemotionale dialogische Szenen mit einer gelassenen Ein- und Innensicht des Rückblicks zu erzählen, die berühren. Das Gesellschaftspolitische spiegelt sich im Privaten. Gekonnt spannt sie auch sprachlich den Zeitenbogen, denn auch die Sprache hat sich seither gewandelt.

 

Hochkomplexes erscheint einfach und begreifbar und dann wieder so komplex, wie es auch wirklich ist. Sie gehört schon seit langem zu den Großen österreichischer Literatur.

 

Rezension

Ilse Seifried

https://www.i-m-seifried.at

 


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